„Ein Wahnsinn, dieses Weib“
Clarissa Hopfensitz wird für ihren grandiosen Auftritt im Schrannensaal gefeiert. Das Stück „Wahnsinnsweiber“ hat die Nördlingerin selbst geschrieben.
Von Toni Kutscherauer
Augsburger Allgemeine Zeitung, 06.11.17
Clarissa Hopfensitz schlüpfte am Freitagabend für ihr Stück „Wahnsinnsweiber“ gleich in mehrere Rollen: Virginia Wolf.
Die Sorge um mangelnden Zuspruch erwies sich als unbegründet: bis auf den letzten Platz war der Nördlinger Schrannensaal am Freitagabend ausverkauft, im Eingangsbereich wurden sogar noch Stehtische
aufgestellt. „Wahnsinnsweiber“ heißt die historische Tragikomödie, welche die Schauspielerin und Sängerin Clarissa Hopfensitz zum Abschluss ihrer Tournee in ihrer Heimatstadt zur Aufführung brachte.
Darin wird das Leben von sechs Frauen beleuchtet, allesamt „in der Blüte ihres Lebens, die in ihrer Kreativität gefangen und ihrer Selbstbestimmung beraubt“ sind. So wie in der Rahmenhandlung Valeri
Deli, als „Erfinderin der Design-Toilettendeckel“ geschäftlich höchst erfolgreich, jedoch von Albträumen verfolgt. In einer „Gruppenhypnose“ mit dem Publikum führt sie die Frauen aus verschiedenen
Epochen vor, die eine Gemeinsamkeit eint: Sie wurden von ihren Zeitgenossen für verrückt oder wahnsinnig gehalten. Etwa Juana La Loca (1506 bis 1555), die als Titularkönigin von Kastilien von einer
obsessiven Liebe zu ihrem Gemahl Philipp getrieben ist. Voll rasender Eifersucht versucht sie nicht nur, Frauen von ihm fernzuhalten, sondern zieht nach Philipps plötzlichem Tod mit dessen Sarg
monatelang durchs Land. Die schwermütige „Sissi“ wiederum, Kaiserin von Österreich (1854 bis 1898), leidet unter der Lieblosigkeit des Gatten Franz-Josef ebenso wie unter der Enge des spanischen
Hofzeremoniells: „Ich krieg einfach keine Luft mehr hier drinnen.“ Opfer einer paranoischen Persönlichkeitsspaltung wird dagegen die französische Bildhauerin und Malerin Camille Claudel (1864 bis
1943). Sie fühlt sich von ihrem künstlerischen Ziehvater und Geliebten Rodin ausgebeutet und verbringt die letzten 30 Jahre ihres Lebens in Irrenanstalten. Ausdrucksstark und mit außerordentlichem
Einfühlungsvermögen schlüpft Clarissa Hopfensitz in all diese Rollen. In intensiven Darstellungen haucht sie ihnen Leben ein und skizziert von jedem „Wahnsinnsweib“ per Monolog ein Charakterbild, das
sich dem Zuschauer trotz der Kürze der
Szenen auch dann erschließt, wenn dieser den jeweiligen Lebenslauf nicht kennt. So wie bei der englischen Schriftstellerin Virginia Woolf (1882 bis 1941), die zu ihrer Homosexualität steht und bis zu
ihrem Freitod vergeblich um ihre Lebensmaxime kämpft: „Lass niemanden anders über dein Leben bestimmten, es gehört nur dir allein.“ Beeindruckend auch die Figur der begnadeten griechischen Operndiva
Maria Callas (1882 bis 1941): die exaltierte „Primadonna assoluta“ echauffiert sich über schlechte Kritiken und verzweifelt an ihrer verlorenen Liebe zum Milliardär Onassis. Schlussakkord und
Höhepunkt ist die Darstellung der erst vor wenigen Jahren verstorbenen Popsängerin Amy Winehouse (1983 bis 2011). Zugedröhnt und mit einer Flasche Schampus in der Hand resümiert sie auf der Bühne
über ihr – trotz Weltkarriere – verkorkstes junges Leben. Aus ihrem kaputten Elternhaus und nach Eheproblemen flieht sie, „ausgesaugt vom Publikum“, in die todbringende Sucht. Authentisch und
eindringlich transportiert Clarissa Hopfensitz, die auch für Text und Regie verantwortlich zeichnet, in „Wahnsinnsweiber“ all die Emotionen und Eigenheiten ihrer Charaktere auf die Bühne und von dort
ins Publikum. Trauer und Wut, Schmerz und Leiden, Ekstase und Verzweiflung, Ängste und Psychosen – all das wird für den Besucher greifbar, fühlbar, erlebbar. Zudem beeindrucken ein facettenreiches
Mienenspiel und eine präzise modulierte Sprache, bis hin zum österreichischen Dialekt der „Sissi“. Abgerundet wird der gelungene „Spagat zwischen Komik und Ernst, Historie und Gegenwart“ durch
geschmackvolle und am jeweiligen Zeithintergrund orientierte Kostüme sowie wunderbare Gesangseinlagen, deren Bandbreite von einer Callas-OpernArie bis zum furiosen Amy Winehouse-Tophit „Valerie“
reicht. Am Ende ihres großartigen Auftritts wird eine sichtlich berührte Clarissa Hopfensitz vom heimischen Publikum lautstark und minutenlang gefeiert. In Anlehnung an den Programmtitel meint eine
begeisterte Zuschauerin: „Ein Wahnsinn, dieses Weib!“